Holger Reiners war es so, als habe er sich das Gemüt verrenkt, und zwar gewaltig. Depression? Das hieß auch bei ihm, zu nichts Lust zu haben, sich über nichts freuen zu können, vor allem nicht über das Leben. Mit keinem Buch, keinem Geschenk, keinem Kinobesuch war er zu bestechen, mit niemandem wollte er zusammen sein. Sog der Wunschlosigkeit, nennt das Holger Reiners. Eine diffuse Traurigkeit überkam ihn, eine fürchterliche Starre, die über Jahre blieb und die wie ein alter Bekannter manchmal um die Ecke schaut. Dazu die Sprüche: Reiß dich zusammen! Mäh wenigstens den Rasen! Doch man kommt nicht aus seinem Bett, nicht jetzt, nicht heute und warum überhaupt. Die Scham macht es noch schlimmer - keiner soll es merken.
Ist ja ein heißes Thema. Wenn ich mir anschau was allein in unserer Ordi (und wir sind gaaanz klein) an Antidepressiva verschrieben wird!!! Abgesehen davon, dass ich glaube dass die Diagnose Depression oft zu schnell gestellt wird, meist handelt es sich ja doch eher um eine depressive Verstimmung, glaube ich dass unser Leben/unser Umfeld viel daran schuld ist. Die Erkenntnis des Autors dass er viel zu lange diversesten Zielen nachgejagt ist, ist sicher richtig. Bitte jetzt nicht falsch verstehen, aber früher als die Menschen einfach nur versucht haben zu (über)leben gab es wesentlich weniger Depressionen. Heute wird uns doch ständig erzählt dass wir nicht nur jung, dynamisch, schlank, sportlich usw. sein müssen, sondern auch dass wir eine tolle Wohnung, einen Superjob, schicke Klamotten und ich weiß nicht was alles haben müssen. Irgendwie waren die Ziele früher anders. Ich weiß man kann die Zeit nicht zurückdrehen, aber in mancher Hinsicht wäre es schon schön wenn die wirklich wichtigen Dinge im Leben wieder ihren Platz bekommen könnten. Aber es ist ja viel einfacher irgendwelche Pillchen zu schlucken als sein Leben zu ändern.
Nochmal: bitte nicht falsch verstehen. Eine Depression ist eine schlimme und behandlungsbedürftige Krankheit, aber nicht alles was unter Depression läuft ist wirklich eine, für viele Ärzte ist es halt leichter ein Rezept zu schreiben, als sich mit dem Patienten auseinanderzusetzen (ist sicher auch zeitmäßig oft nicht drin).